29.04.2020 -
Hinweis Nummer 64 von Bosbach/Korff: Bundesregierung und Robert-Koch-Institut (RKI) wechselten schon zum zweiten Mal das Kriterium zur Einschätzung der Pandemiegefahr: Zuerst war es die Verdopplungszeit der Anzahl der Infizierten, dann die Reproduktionszahl, jetzt auf einmal soll es die absolute Zahl der gemeldeten Fälle sein. Das ist unglaubwürdig.
Corona hat viele Menschen sehr verunsichert und wahrscheinlich schnell harte Einschnitte erfordert. Da war die Regierung gefordert. Anfängliche Fehler sind verzeihlich, aber schnell hätte klar sein müssen, dass die Nennung wissenschaftlich klingender Kriterien nicht die Lösung sein kann. Der reine Bezug auf mathematisch/statistische Begriffe und Grenzwerte schafft keine Sicherheit. Der ständige Wechsel der Bezugsgrößen erzeugt den Eindruck von Willkür.
Der Reihe nach (keine vollständige Auflistung, Details auf Nachfrage):
Das ist kein vertrauenswürdiger Umgang mit der Bereitschaft fast aller, sich stark einzuschränken.
Gelingt es in normalen Zeiten, mit einer genannten statistischen Maßzahl Eindruck zu erwecken, ist jetzt die Zahl der Wissenden zu groß. Wechselt dann kurz vor der Erfüllung plötzlich das Kriterium, und das gleich mehrfach, sinkt die Bereitschaft, massive Freiheitseinschränkungen weiter zu respektieren.
Im Interesse der Vermeidung einer zweiten Ansteckungswelle und im Interesse der Demokratie: Seid ehrlich! Entwickelt ein Bündel von Kriterien, an denen wir die Vorboten einer zweiten Welle erkennen können, wenn es sie denn geben sollte. Die traurige Entwicklung in Singapur mit einer neuen Welle geben Hinweise, die letzten gut sechs Wochen Erfahrung in Deutschland müssen genutzt werden. Und wenn Ihr keine prüfbaren Kriterien findet, kommuniziert das ehrlich und treibt nicht wieder die nächste „Sau“ durch das Dorf!
Meine Liste über den fürchterlichen Umgang mit statistischen Daten ist noch lang und kann gerne für einen Hintergrundartikel oder ein Interview abgerufen werden. Aber auch da bitte Ehrlichkeit zur Quelle.
Vor dem Abschluss: Schuld ist nicht der Überbringer der Botschaft von unglaubwürdigem Vorgehen. Gerne helfen wir bei der Vermeidung weiterer Fehler. Bisher wurden entsprechende Angebote leider kommentarlos ausgeschlagen.
Zur öffentlich beachteten RKI-Pressekonferenz von Dienstag 28. April 2020, 10 Uhr:
Nachdem über mehrere Wochen vom RKI die Reproduktionszahl R stark ins Zentrum der Betrachtung geschoben wurde, die Berechnung oder besser gesagt Schätz-Methode erneuert wurde, hatten viele Journalisten dazu Nachfragen. Und dann kam die medial beachtete Kehrtwende, die sich seit einer Woche anbahnte.
Ausschnitte vom Ende der Konferenz, geäußert durch RKI-Präsident Prof. Lothar Wieler: „öffentlich nicht immer ausschließlich auf R konzentrieren“, „eine Reihe anderer Werte betrachten“ (sinngemäß zitiert). So weit, so klug. Aber dann wortwörtlich: „ganz wichtige, die Anzahl der Neuinfektionen pro Tag“ – und damit hatte er schon wieder eine neue Größe in den Mittelpunkt gestellt. Fast genauso verlief vor Wochen der Wechsel von den Wachstumsraten der registrierten Fälle zur Reproduktionszahl R.
Für viele Journalisten kam der gestern erstmalig von Präsident Wieler ausgesprochene Wechsel dann doch zu plötzlich, und es wurde erstaunt darüber berichtet.
Freundliche Grüße
Köln, Aachen 29. April 2020
Gerd Bosbach, Jens Jürgen Korff